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Boomender Umsatzsteuerbetrug im Immobiliensektor

Das unterschätzte Verbrechen
Umsatzsteuerbetrug kostet Deutschland viele Milliarden Euro pro Jahr. In den Medien sind vor allem Tricksereien wie Kassenbetrug und Umsatzsteuerkarusselle bei grenzüberschreitenden Transaktionen präsent, beide verursachen jeweils rund 20 Mrd. Euro Schaden pro Jahr. Aber auch in der Baubranche werden Schwächen der Umsatzsteuerregelung systematisch ausgenutzt. Wir erklären die kriminellen Tricks und was es braucht, um den Betrug auf Kosten der Steuerzahler künftig einzudämmen.

Wenn die Baubranche boomt, steigt der Umsatzsteuerbetrug

Der Immobiliensektor boomt wieder – und ebenso der Umsatzsteuerbetrug in der Baubranche. Denn windige Projektentwickler und kriminelle Netzwerke nutzen immer wieder systemische Schwächen in der Umsatzbesteuerung aus, um sich unrechtmäßig die Umsatzsteuer auf die Baukosten in Höhe von 19 % als Vorsteuer erstatten zu lassen. Betrachtet man exemplarisch ein 10 Millionen-Bauvorhaben, wären das immerhin stattliche 1,9 Mio. Euro – für Kriminelle ein höchst lukrativer Betrug auf Kosten der Steuerzahler.

So funktioniert das Erschleichen des Vorsteuerabzugs

Der Projektentwickler (PE) einer Immobilie kann sich die Umsatzsteuer auf die Projektkosten als Vorsteuer erstatten lassen. Das setzt voraus, dass er Leistungen erbringt, die zum Vorsteuerabzug berechtigen. Vermietet oder veräußert er eine Immobilie, ist dies grundsätzlich eine umsatzsteuerfreie Leistung, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Erfolgt die Vermietung oder Veräußerung jedoch an einen Gewerbetreibenden für dessen Unternehmen, kann der PE zur Umsatzsteuerpflicht dieser Leistung optieren und auch die Umsatzsteuer auf seine Projektkosten als Vorsteuer geltend machen. Er spart dadurch 19% der gesamten Projektkosten.

Trick 1: Trickserei bei der Höhe der Bau- und Sanierungskosten

Über Scheinfirmen, die teils auch im Ausland angesiedelt werden, werden gefälschte Rechnungen über hohe Bau- und Sanierungskosten ausgestellt. Teilweise werden Sanierungen auch ganz vorgetäuscht, bevor die Immobilie weiterverkauft wird. Ziel ist es, die Kosten scheinbar in die Höhe zu treiben, um höhere Vorsteuerbeträge erstattet zu bekommen.

Kriminelle Netzwerke aus Scheinfirmen täuschen außerdem Warenströme für Bauzubehör über mehrere EU-Länder vor, um Vorsteuererstattungen mehrfach zu kassieren. Ein solches Umsatzsteuerkarussell nutzt die Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen für Betrügereien aus. Das DSTG-Magazin berichtete darüber bereits ausführlich in Ausgabe 10 | 2024.

Trick 2:  Gewerbliche Vermietung vortäuschen

Die Vorsteuer wird erschlichen, wenn die Projektentwickler die gewerbliche Vermietung oder Veräußerung lediglich vortäuschen. Der gewerbliche Mieter wird dann als Scheinunternehmen gegründet, das nicht wirklich gewerblich tätig ist. Oftmals gibt es nur einen Briefkasten oder eine (Büro-)Wohnung, die für diese Zwecke angemietet wird. Die Mietverträge sind nur zum Schein geschlossen und werden nicht tatsächlich vollzogen.

Trick 3: Missbrauch der 10-Jahres-Frist


Eine andere Form des Umsatzsteuerbetrugs ist eine Änderung der Voraussetzungen, die für einen Vorsteueranspruch erforderlich sind. Geschieht dies innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren, ist der Steuerpflichtige verpflichtet, dies dem Finanzamt gegenüber zu melden und die Vorsteuer (ggf. anteilig) zurückzuzahlen.

Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn  betrügerische Projektentwickler die volle Vorsteuer in Anspruch nehmen, jedoch Immobilien nur kurzfristig an gewerbliche Mieter vermieten. Oft werden die Immobilien lange vor Ablauf der 10-Jahres Frist umsatzsteuerfrei veräußert oder in die private Nutzung überführt,  ohne dass das Finanzamt darüber informiert wird.

Diese Warnsignale deuten auf ein hohes Betrugsrisiko hin

Risikofaktoren für Scheinfirmen bei Bau und Sanierung

Viel vor, wenig dahinter: Um möglichst viel Vorsteuer zu ergaunern, werden deutlich überhöhte Sanierungskosten angegeben. Die ausführenden Unternehmen der vorgeblich millionenschweren Baukosten oder Sanierungen haben indes kaum Personal beschäftigt oder verfügen über verdächtig wenig Lagerraum zur Aufbewahrung von Baugeräten. Hier lohnt es, die Lohnsteuervoranmeldungen der Unternehmen und die angegebene Nutzfläche auf Verhältnismäßigkeit zu prüfen.

Frischling fängt fette Beute: Auffällig ist auch, wenn die für Großaufträge beauftragten Firmen erst sehr kurze Zeit am Markt sind. Die Wahrscheinlichkeit, sich gegen Wettbewerber mit mehrr Erfahrung und Reputation durchzusetzen, wäre bei fairen Bedingungen eher gering.

Eine/r für alle: Das Risiko für Briefkastenfirmen steigt ebenfalls, wenn sich viele der beauftragten Firmen eine Adresse, etwa in einem Shared Workspace Office, teilen. Gleiches gilt, wenn als Geschäftsführer bei vielen unterschiedlichen Unternehmen die gleiche Person angegeben ist.

Verworrene Strukturen: Ein weiteres Indiz: Oft steckt hinter Projektentwicklung und ausführenden Baufirmen eine Holding mit hochkomplexen Beteiligungsstrukturen, sodass die verantwortlichen Eigentümer nur schwer nachverfolgt und haftbar gemacht werden können. Häufig kommen auch Strohmänner zum Einsatz, während die Firmensitze oftmals in Steueroasen angesiedelt sind.

Risikofaktoren für unrechtmäßige Vorsteuererstattung

Häuschen wechsel dich: Auch häufige Eigentümerwechsel gelten als Warnsignal für systematischen Umsatzsteuerbetrug. Hier ist auch die Gefahr gegeben, dass eine mehrfache Erstattung der Vorsteuer beantragt wird – ohne dass eine Berichtigung stattgefunden hat.

Falsche Mietverträge: Das Risiko, dass es sich um Vermietung an Scheinfirmen handelt, steigt, wenn es kaum (öffentliche) Informationen über die gewerblichen Mieter gibt oder die vermietete Fläche nicht zu den Bedürfnissen des Gewerbes passt. Des Weiteren können Mieterwechsel ein Risiko bergen: Anhaltspunkte, ob es sich auch nach einem Mieterwechsel um gewerbliche oder private Mieter handelt, können Anzeigen auf Immobilienplattformen geben.

Das braucht’s im Kampf gegen die Vorsteuer-Abzocke am Bau

Die simpelste Lösung liegt auf der Hand: Um Umsatzsteuerbetrug im Immobilienbereich effektiv aufzudecken, braucht es deutlich mehr Kontrollen. In Zeiten hoher Auslastung und Personalmangel jedoch ein schwieriges Unterfangen. Umso mehr muss der Staat effiziente Instrumente bereitstellen, um den Betrug frühzeitig aufzudecken und nachhaltig einzudämmen.

Effektive Spezialeinheit: Der länderübergreifende Fiskus Guard

Ein vielversprechender Ansatz zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug im Immobiliensektor wäre die Einrichtung einer länderübergreifenden Taskforce mit umfassenden Kompetenzen und direktem Zugriff auf EUROFISC-Daten.

Dadurch könnten auch Unternehmen im Ausland effektiv überwacht und kontrolliert werden. Die Spezialeinheit sollte interdisziplinär aufgestellt sein und durch Steuerrechtsexperten, Datenwissenschaftler sowie IT-Spezialisten unterstützt werden, um innovative Lösungsansätze schnell und gezielt umzusetzen.

Besonders effektiv zeigen sich KI-gestützte Analyseverfahren, die präzise Prognosemodelle für Steuerbetrug erstellen. Solche Modelle würden es ermöglichen, Hochrisikofälle frühzeitig zu identifizieren. Speziell geschulte Prüfer könnten anschließend gezielt Immobilienprojekte mit hohem Risikopotenzial untersuchen und potenziellen Betrug effizient aufdecken.

Ergänzend dazu bietet § 18f UStG dem Finanzamt ein wertvolles Instrument zur Absicherung bei Zweifeln an der Richtigkeit von Umsatzsteueranmeldungen oder Erstattungen. Durch die Möglichkeit, Sicherheitsleistungen zu verlangen, schafft diese Regelung einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den Interessen der Unternehmer und den Schutzbedürfnissen des Fiskus.

Einführung elektronischer Meldesysteme

Eine notwendige Maßnahme wäre die Einführung verpflichtender digitaler Meldesysteme, die möglichst in Echtzeit alle Immobilientransaktionen in ein elektronisches Transaktionsregister übermitteln. In Estland etwa sind bereits ein elektronisches Melderegister, Blockchain-basierte Grundbücher und Steuerdaten in Echtzeit miteinander verbunden. Jede Immobilientransaktion löst automatisch eine Umsatzsteuerprüfung aus.

Mustererkennung auffälliger Baukosten

Um auffällige Muster bei Bau- und Sanierungskosten frühzeitig zu identifizieren, wäre die verpflichtende Einführung der E-Rechnung ein entscheidender Schritt. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz könnten Rechnungen anhand verschiedener Parameter auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Ein digitaler Abgleich mit Genehmigungsbehörden könnte zusätzlich Klarheit über tatsächlich erbrachte Leistungen schaffen und so die Transparenz erhöhen.

Ein Vorbild hierfür bietet etwa die Steuerverwaltung in Singapur (IRAS), die bereits Machine-Learning-Algorithmen einsetzt, um Immobilienprojekte mit ungewöhnlichen Vorsteuerabzugsmustern zu identifizieren. Die KI schlägt beispielsweise Alarm, wenn Bau- und Sanierungskosten einen festgelegten prozentualen Normwert überschreiten. Dieses Vorgehen zeigt, wie innovative Technologien gezielt zur Bekämpfung von Steuerbetrug eingesetzt werden können.

Mustererkennung einer vorgetäuschten gewerblichen Vermietung

Um eine vorgetäuschte gewerbliche Vermietung frühzeitig aufzudecken, könnte die Einführung einheitlicher digitaler Mietverträge, gespeichert in einem zentralen elektronischen Melderegister, eine effektive Maßnahme sein. Solch ein System würde es ermöglichen, Auffälligkeiten wie Mieterwechsel schnell zu erkennen und gezielte Überprüfungen einzuleiten.

Ergänzend könnten spezialisierte XPider-Crawler eingesetzt werden, die das Internet automatisiert nach relevanten Informationen durchsuchen – etwa Wohnungsanzeigen auf Immobilienplattformen. Die von den Crawlern gesammelten Daten könnten anschließend mit den hinterlegten Mietverträgen abgeglichen werden, um potenzielle Unstimmigkeiten aufzudecken. Ein Beispiel: Wird eine Wohnung auf Plattformen für Privatmieter angeboten, während gleichzeitig gewerbliche Mietverträge vorgelegt werden? Solche Diskrepanzen könnten frühzeitig gemeldet und überprüft werden, um Missbrauch effektiv entgegenzuwirken.

Einführung der Reverse-Charge-Pflicht für Gewerbevermietungen

Seit 2021 gilt in den Niederlanden das Reverse-Charge für Gewerbemieten über 50.000 Euro im Jahr: Im Gegensatz zu Deutschland schuldet nicht der Vermieter, sondern der Mieter die Umsatzsteuer. Dadurch erfolgt eine Erstattung nur dann, wenn auch die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug beim Mieter vorliegen. Das Reverse-Charge-Verfahrenfindet auch in Deutschland bereits in einigen Gebieten Anwendung, eine Ausweitung sollte dringend geprüft werden.

Der DSTG-6-Punkte-Plan für entschlossenes Handeln gegen Umsatzsteuerbetrug

Die Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug im Immobiliensektor erfordert entschlossenes Handeln und moderne Technologien. Ansätze wie E-Rechnungen, KI-gestützte Analysen und digitale Mietregister zeigen großes Potenzial, doch ihre Umsetzung verlangt politische Entscheidungen, Zusammenarbeit und internationales Engagement.

DSTG-Bundesvorsitzender Florian Köbler fordert daher entschiedenes Handeln: “Um den Betrug effektiv einzudämmen, sollten die nächsten 100 Tage genutzt werden, um entscheidende Maßnahmen auf den Weg zu bringen!”

Der DSTG-6-Punkte-Plan für entschlossenes Handeln gegen Umsatzsteuerbetrug

1. Digitalisierung vorantreiben
Einführung der verpflichtenden E-Rechnung im Baugewerbe und Aufbau eines elektronischen Transaktionsregisters, um Bau- und Immobilientransaktionen in Echtzeit zu überwachen.

 

2. Taskforce einrichten
Bildung einer spezialisierten Einheit aus Steuerrechtsexperten, Datenwissenschaftlern und IT-Spezialisten

 

3. KI-gestützte Mustererkennung einsetzen
Entwicklung von Analyseverfahren zur Identifikation auffälliger Baukosten und vorgetäuschter gewerblicher Vermietungen.

4. Prüfkapazitäten stärken
Allokation von Prüfern sowie gezielte Weiterbildungsprogramme für digitale Kompetenz und Betrugsprävention.

 

5. Gesetzliche Anpassungen prüfen
Erweiterung der Sicherheitsleistungsregelungen nach § 18f UStG und stärkere Haftungsregelungen für komplexe Eigentümerstrukturen.

 

6. Internationale Zusammenarbeit intensivieren
Ausbau der Kooperation über EUROFISC und Austausch bewährter Praktiken mit Vorreitern wie Singapur oder Estland.

Exemplarischer Umsatzsteuerkarussellbetrug im Immobiliensektor

Wir zeigen am fiktiven LuxProp-Fall wie der Umsatzsteuerkarussellbetrug im Immobiliensektor funktioniert.

Hier kann die Grafik zusätzlich als Text gelesen werden:

Weiterlesen
Unternehmen Sitz Rolle im Betrugssystem
LuxProp GmbH Berlin Missing Trader (verschwindet ohne USt-Abführung)
DE-Bauen GmbH Berlin Buffer (Scheindienstleister)
ResidenzRevolution AG Berlin Broker / Käufer (macht Vorsteuer geltend)

Schritt 1: Erwerb der Immobilie (steuerfrei nach §4 Nr. 9a UStG)

  • LuxProp GmbH erwirbt eine Gewerbeimmobilie in Berlin für 2 Mio. Euro.
  • Diese Transaktion ist grundsätzlich gemäß §4 Nr. 9a UStG umsatzsteuerfrei (stattdessen fällt Grunderwerbsteuer an).

Schritt 2: Fiktive Bauleistungen nach §13b UStG

  • LuxProp GmbH beauftragt DE-Bau GmbH mit angeblichen Sanierungsarbeiten am Gebäude für netto 1 Mio. Euro.
  • DE-Bauen GmbH stellt eine Rechnung über diese fiktiven Bauleistungen aus, weist dabei keine Umsatzsteuer aus und verweist auf das Reverse-Charge-Verfahren nach §13b UStG.
  • LuxProp GmbH verbucht diese Rechnung wie folgt:
    • LuxProp schuldet als Leistungsempfänger dem Finanzamt die Umsatzsteuer von 19% auf die Rechnungssumme (=190.000 €).
    • Gleichzeitig macht LuxProp diesen Betrag als Vorsteuer geltend.
  • Da tatsächlich keine Bauleistung erbracht wurde, ist diese Vorsteuergeltendmachung unrechtmäßig und stellt bereits den ersten Teil des Betrugs dar.

Schritt 3: Weiterverkauf der Immobilie durch LuxProp mit ausgewiesener Umsatzsteuer

  • LuxProp verkauft nun das angeblich sanierte Objekt weiter an die ResidenzRevolution AG für insgesamt 3 Mio. Euro brutto (inklusive ausgewiesener Umsatzsteuer von ca. 478.992 Euro).
  • ResidenzRevolution AG bezahlt den Kaufpreis inklusive Umsatzsteuer an LuxProp.
  • LuxProp müsste nun eigentlich die eingenommene Umsatzsteuer von rund 478.992 Euro an das Finanzamt abführen, tut dies jedoch nicht und verschwindet vom Markt („Missing Trader“).

Schritt 4: Vorsteuerabzug durch InvestCon AG

  • ResidenzRevolution AG macht beim Finanzamt die gezahlten 478.992 Euro als Vorsteuer geltend.
  • Das Finanzamt erstattet diese Vorsteuer an ResidenzRevolution AG zurück.
  • Da LuxProp GmbH jedoch verschwunden ist und die vereinnahmte Steuer nie ans Finanzamt abgeführt hat, entsteht hierdurch ein unmittelbarer finanzieller Schaden für den Fiskus.

Schritt 5: Wiederholung des Betrugszyklus

  • ResidenzRevolution AG verkauft das Objekt nach kurzer Zeit an eine weitere Scheinfirma innerhalb desselben Netzwerks weiter.
  • Erneut werden fiktive Sanierungen beauftragt und Rechnungen nach §13b UStG gestellt.
  • Ein neuer Missing Trader tritt auf; der Zyklus beginnt erneut.

Pressekontakt

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