Globale Mindeststeuer: Die Bundestagsanhörung und ihre Konsequenzen für die Finanzverwaltung
Die öffentliche Anhörung des Finanzausschusses zum Mindeststeueranpassungsgesetz am 03.11.2025 hat gezeigt: Die globale Mindestbesteuerung ist steuerpolitisch richtig, doch die Umsetzung birgt erhebliche Risiken. Als Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG) hatte ich Gelegenheit, die Perspektive der Finanzverwaltung einzubringen – und drei fundamentale Schwächen des Gesetzentwurfs zu benennen.
Mindeststeuer: Paradigmenwechsel mit 15 Prozent Untergrenze
Die globale Mindestbesteuerung markiert einen historischen Wendepunkt in der internationalen Steuerpolitik. Nach jahrzehntelangem schädlichem Steuerwettbewerb etabliert Pillar 2 der OECD und G20 erstmals eine wirksame Untergrenze von 15 Prozent für multinationale Konzerne ab 750 Millionen Euro Jahresumsatz.
Diese Regelung sichert Steuersubstrat, schafft faire Wettbewerbsbedingungen und stärkt das Vertrauen in den Steuerstaat. Die Beschäftigten in der Finanzverwaltung erleben täglich, welche Ungleichgewichte durch aggressive Steuerplanungsmodelle entstehen. In Deutschland sind etwa 400 Konzerne von der Mindeststeuer betroffen.
Die DSTG unterstützt die globale Mindeststeuer grundsätzlich – fordert aber eine durchdachte Umsetzung mit ausreichenden Ressourcen.
Drei zentrale Schwächen des Gesetzentwurfs
Die Anhörung hat drei fundamentale Probleme offenbart:
1. Abschaffung der Lizenzschranke: Schutzlücke für den Mittelstand
Die vollständige Abschaffung der Lizenzschranke (§ 4j EStG) ab 2025 ist problematisch. Die Begründung der Bundesregierung, die Mindeststeuer mache die Lizenzschranke überflüssig, trifft nur auf Großkonzerne zu. Die überwiegende Mehrheit deutscher Unternehmen liegt jedoch nicht im Anwendungsbereich der Mindeststeuer.
Bei tausende mittelständischen Unternehmen, Familienkonzerne und gehobene Mittelständler entfällt damit ein wichtiges Schutzinstrument gegen Gewinnverlagerungen durch Lizenzzahlungen.
Lösung: Beibehaltung der Lizenzschranke zumindest für Unternehmen unterhalb der 750-Millionen-Euro-Schwelle. So werden faire Wettbewerbsbedingungen gesichert.
2. Personalbedarf unterschätzt: Finanzverwaltung bereits überlastet
Die hochkomplexen Regelungen zur globalen Mindestbesteuerung erfordern hochspezialisiertes Personal mit Kenntnissen in internationaler Rechnungslegung (IFRS, US-GAAP), ausländischen Steuerrechten und den komplexen OECD-Regelwerken.
Die Situation ist dramatisch: Nach Angaben des Deutschen Beamtenbundes fehlen im öffentlichen Dienst insgesamt 550.000 Beschäftigte. 81 Prozent der Führungskräfte sehen den Fachkräftemangel als größtes Risiko.
Der Gesetzentwurf unterschätzt den tatsächlichen Personalbedarf massiv.
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- Unabhängige, realistische Personalbedarfsanalyse
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- Deutliche Stellenaufstockung beim Bundeszentralamt für Steuern
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- Wettbewerbsfähige Vergütungsstrukturen für Spezialisten
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3. IT-Infrastruktur unzureichend: Vollzug gefährdet
Die IT-Infrastruktur der Finanzverwaltung ist für die Anforderungen nicht ausreichend ausgebaut. Konkret fehlen:
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- Leistungsfähige Datenbanklösung für Mindeststeuer-Berichte
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- IT-Systeme für mehrjährige Nachverfolgung (§ 50a MinStG)
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- Sichere Schnittstellen zu ausländischen Steuerverwaltungen
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- Prüfungssoftware zur Plausibilisierung
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- Automatisierte Safe-Harbour-Prüfung
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Erforderlich: Massive IT-Investitionen mit konkreten Finanzierungszusagen und realistischen Zeitplänen.
US-Ausnahme: Wettbewerbsverzerrung durch Side-by-Side-System
Ein zentrales Thema der Anhörung war das im Juni 2025 von den G7 vereinbarte „Side-by-Side“-System, das US-Konzerne faktisch von der globalen Mindeststeuer ausnimmt. Ich kann den Schritt als pragmatische Lösung sehr gut nachvollziehen. Allerdings kann diese Koexistenz mit dem US-GILTI-System Wettbewerbsverzerrungen verursachen.
Besonders problematisch: Weitere Staaten könnten ähnliche Wege gehen. Neben den USA haben auch China und Indien die Mindeststeuer bislang nicht eingeführt.
Die DSTG fordert: Zumindest auf EU-Ebene sind einheitliche Regelungen notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Lagfristig sollte die Politik daran arbeiten, dass alle Staaten die Regelungen von Pillar 2 einführen.
Positive Entwicklungen: Was funktioniert
Bei aller Kritik gibt es auch positive Aspekte im Gesetzentwurf:
CbCR-Safe-Harbour: Dauerhafte Vereinfachung
Die dauerhafte Integration der CbCR-Safe-Harbours ist ein wichtiger Schritt. Ein permanenter Safe Harbor birgt erhebliches Potenzial, die Komplexität nachhaltig zu reduzieren. Allerdings: Es braucht hierfür gute Datenqualität. Standards müssen geschaffen werden.
Anhebung der Freigrenzen bei Hinzurechnungsbesteuerung
Die Anhebung der relativen Freigrenze von 10% auf ein Drittel und der absoluten Freigrenze von 80.000 auf 100.000 Euro ist verhältnismäßig. Besonders wichtig: Die 10%-Beteiligungsgrenze bei § 13 AStG ist eine überfällige Korrektur.
Abschaffung von § 4i EStG: Bürokratieabbau
Im Gegensatz zur Lizenzschranke ist die Abschaffung des § 4i EStG sinnvoll. Diese Vorschrift ist durch § 4k EStG redundant geworden.
Sachverständigenanhörung: Geteiltes Echo
Die Anhörung zeigte unterschiedliche Perspektiven der Sachverständigen:
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- Dirk Nolte (Ernst & Young, CDU/CSU) warnte vor Wettbewerbsnachteilen durch die US-Exklusion.
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- Christoph Trautvetter (Netzwerk Steuergerechtigkeit, Grüne) betonte: „Die Mindeststeuer funktioniert“.
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- Markus Mainzer (Tax Justice Network, Linke) warnte vor der Abschaffung der Lizenzschranke.
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- Monika Wünnemann (BDI) kritisierte das Sonderregime für europäische Unternehmen.
Die Perspektive der Finanzverwaltung, die täglich mit der Umsetzung befasst ist, ergänzte diese Sichtweisen um die Vollzugsdimension.
Konkrete Forderungen an den Gesetzgeber
Zur Lizenzschranke:
- Beibehaltung
- Bei Beibehaltung: Vereinfachungen
- Falls Abschaffung: Evaluierung nach drei Jahren
Zu Personal und Ressourcen:
- Unabhängige Personalbedarfsanalyse
- Deutliche Stellenaufstockung
- Wettbewerbsfähige Vergütung
- Massive IT-Investitionen
Zu Schulung und Koordination:
- Umfassendes Schulungskonzept
- Zeitnahe BMF-Schreiben
- Kompetenzzentren
- Zentrale Datenbank
Fazit: Richtiger Weg, falsche Umsetzung
Die globale Mindestbesteuerung (Pillar 2) ist ein wichtiger Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit. Das Mindeststeuergesetz ist seit Januar 2024 in Kraft.
Doch der aktuelle Gesetzentwurf weist erhebliche Schwächen auf: US-Ausnahme, Abschaffung der Lizenzschranke, unterschätzter Personalbedarf und unzureichende IT-Infrastruktur.
Die Anhörung hat gezeigt: Expertise aus der Verwaltungspraxis ist unverzichtbar für erfolgreiche Steuerpolitik. Die Beschäftigten sind bereit – aber sie brauchen die richtigen Rahmenbedingungen.
Steuergerechtigkeit darf nicht nur ein politisches Schlagwort bleiben. Die globale Mindeststeuer kann ein Meilenstein werden – wenn wir sie richtig umsetzen.