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Steuerrevolution 2030 – Ist die Steuerverwaltung noch zu retten?

Ein 10-Punkte-Plan für eine zukunftsfeste Verwaltung trotz Fachkräftemangel

Die aktuellen Prognosen zu Deutschlands Zukunft sehen düster aus: Bereits im Jahr 2030 wird die deutsche Steuerverwaltung wegen des drohenden Fachkräftemangels mit schätzungsweise rund einem Drittel weniger Personal auskommen müssen. Gleichzeitig ist der Staat, um weiterhin handlungsfähig zu bleiben, auf zuverlässig funktionierende Finanzämter angewiesen.

Damit die Steuerverwaltung handlungsfähig bleibt, braucht es ein neues Konzept

Mit der “DSTG-Steuerrevolution 2030” wurde ein Maßnahmenkatalog erarbeitet, der die Kraft hat, auf die multiplen Krisen unserer Zeit – insbesondere auf den drohenden Fachkräftemangel 2030 – konkrete Antworten zu liefern. Die Empfehlungen sollen die Steuerverwaltung auch für die kommenden Dekaden zukunftsfest aufstellen, einen handlungsfähigen Staat gewährleisten und zugleich die Interessen der Wirtschaft berücksichtigen.

Die DSTG Steuerrevolution 2030 beinhaltet zwei tragende Säulen: Zum einen drastische Anpassungen des Steuerrechts, zum anderen das rapide Vorantreiben der Digitalisierung. Beides muss Hand in Hand gehen, um eine effektive und nachhaltige Wirkung zu entfalten. Die Zeit drängt, die Politik muss die angestrebte Reform zur Chefsache mit höchster Priorität erklären, Gesetzesänderungen in die Wege leiten und die benötigten finanziellen Mittel freimachen.

Der 10-Punkte-Plan der DSTG-Steuerrevolution 2030

    1. Pauschalen statt Einzelfallgerechtigkeit
    2. Entbürokratisierung bei Arbeitnehmern
    3. Entbürokratisierung bei Rentnern
    4. Keine Lenkung mittels Steuerrecht
    5. Keine pauschale Risikoabsicherung
    6. Förderung von Steuergerechtigkeit
    7. Innovative Gedankenspiele zulassen
    8. Steuerliche Compliance fördern
    9. Digitalisierung vorantreiben
    10. Einsatz von Künstlicher Intelligenz

Im Folgenden stelle ich die zehn Eckpunkte der DSTG Steuerrevolution 2030 kurz vor, zeige aktuelle Herausforderungen aus Sicht der Finanzämter auf, biete konkrete Lösungsansätze an und lade zu Gedankenspielen und Zukunftsausblicken ein.

Video: Meine Vision für Deutschland. Einsatz für einen handlungsfähigen Staat und ein gerechtes Steuerrecht

Punkt 1. Pauschalen statt Einzelfallgerechtigkeit

Es muss zukünftig gelingen, die Quantität und die Bearbeitungszeit der Fälle, die in der Steuerverwaltung anlanden, drastisch zu reduzieren. Denn das massiv weniger werdende Fachpersonal wird nur bei verhältnismäßig reduzierter Anzahl der Fälle bzw. entsprechend geringerer Abwicklungsdauer in der Lage sein, die Steuern in gleichem Maße zu verwalten.

Dieses Credo muss oberste Priorität einnehmen. Denn abgesehen von der Notwendigkeit aufgrund des Fachkräftemangels, bietet eine Effizienzsteigerung der Finanzverwaltung durch Reduzierung von Fallzahlen und Bearbeitungsaufwand weitere signifikante Vorteile:

➔ Ressourcen können effektiver und flexibler genutzt werden, anstatt durch Routineaufgaben gebunden zu sein. Die Übernahme anspruchsvollerer Fälle kann sich zudem positiv auf die intrinsische Motivation der Finanzbeamten und Steuerfahnder auswirken.

➔ Eine effizientere Verwaltung führt zu erheblichen Kosteneinsparungen, die wiederum in andere wichtige Bereiche investiert werden können.

➔ Durch die Verringerung der Arbeitslast kann die Mitarbeiterzufriedenheit gesteigert und gesundheitlichen Ausfällen entgegengewirkt werden.

 

Mehr Pauschalen, weniger Einzelfallgerechtigkeit

Eine konkrete Maßnahme ist es daher, sich vom perfektionistischen Streben nach Einzelfallgerechtigkeit zu lösen. Es handelt sich hierbei übrigens um ein typisch deutsches Phänomen, in anderen europäischen Ländern sind Pauschalen schon immer gesellschaftlich akzeptierte Norm (z.B. gibt es in Österreich bei Kleinunternehmern die Möglichkeit einer Betriebsausgabenpauschale von 45%, bzw. 20% im Dienstleistungsgewerbe der Betriebseinnahmen – ohne einer Verpflichtung Aufzeichnungen zu führen).  Denn insgesamt rechnen sich Pauschalen signifikant mehr als komplizierte Einzelfallentscheidungen, schließlich verursachen sie weniger Aufwand und damit Personalkosten auf Seiten der Verwaltung wie auch der Wirtschaft. Gebundene Ressourcen werden frei und können effizienter eingesetzt werden. Polemisch gesprochen: Einzelfallentscheidungen sind vor allem politische Statements, die das Gefühl von Gerechtigkeit propagieren, sich wirtschaftlich betrachtet jedoch oft als Milchmädchenrechnung entpuppen.

Der Weg hin zu mehr Pauschalen ist bereits geebnet. Das Bundesverfassungsgericht (BVerFG) hat mehrfach über die Zulässigkeit von Typisierungen und Pauschalierungen entschieden. Kurz erklärt: Typisierende Gesetzesvorschriften richten ihren Regelungsgehalt an typischen Normalfällen aus und lassen individuelle Besonderheiten unberücksichtigt – und sind zulässig, insofern das Ausmaß der Ungleichbehandlung gering ist. Sprich: Die Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Dies gilt ebenso für pauschalierende Vorschriften, die eine Typisierung der rechnerischen Grundlagen enthalten.

Punkt 2. Drastische Entbürokratisierung bei Arbeitnehmern

Ein weiterer Ansatz, um die Quantität der Fälle zu reduzieren, ist die Entbürokratisierung bei der Besteuerung der Arbeitnehmer. Wie oben bereits erläutert, bindet die Bearbeitung dieser steuerlichen Gruppe viele Ressourcen, obwohl hier wenig Potential für großen Steuerbetrug und Mehreinnahmen besteht. Eine pragmatische Maßnahme wäre es daher, die Arbeitnehmerpauschalen zu erhöhen, um der Finanzverwaltung die Möglichkeit zu geben, ihre Ressourcen gezielter auf lohnenderer Fälle zu konzentrieren. Durch höhere Pauschbeträge verbliebe dem Arbeitnehmer mehr Netto vom Brutto – auch ohne Steuererklärung.

Finanzierung von Entbürokratisierungs-Maßnahmen

Die Finanzierung von Entbürokratisierungs-Maßnahmen könnte über den Abbau komplizierter steuerlicher Subventionen erfolgen. So könnten etwa das Dienstwagenprivileg oder die E-Mobilitätsförderung über das Steuerrecht wegfallen. Ein Beispiel aus der Autoindustrie verdeutlicht die Auswüchse der Fördermaßnahmen recht anschaulich: Die pauschale Besteuerung eines Teslas kostet im Jahr 2024 weniger als der VW Caddy eines Handwerkers – obwohl bei Tesla bereits Zuschüsse in Form von lukrativen Kaufprämien für Elektroautos gezahlt wurden. Braucht es tatsächlich doppelte Vergünstigungen, die doppelte Bürokratie bedeuten? Gleichzeitig wäre der Abbau steuerlicher Subventionen ein lohnender Beitrag zur Steuergerechtigkeit, denn zurzeit profitieren Spitzenverdiener deutlich mehr als Geringverdiener von steuerlichen Förderungen.

Daneben gibt es weitere Förderungen, die genauestens auf ihren tatsächlichen Nutzen geprüft und gegebenenfalls eingestellt werden sollten. Ein treffendes Beispiel bietet hier das Forschungszulagengesetz: Nur wenige Unternehmen wissen überhaupt davon. Und nur solche, die den unverhältnismäßig hohen bürokratischen Aufwand nicht fürchten, wenden es an. Auch wenn die Förderung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben durchaus sinnvoll klingt, in der Realität profitieren derzeit ausschließlich bestens steuerlich beratene Unternehmen davon.

Punkt 3. Entbürokratisierung bei Rentnern

Die Besteuerung von Renten ist ein komplexes Thema, das in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Mit der zunehmenden Besteuerung der Renten und der gleichzeitigen steuerlichen Begünstigung von Aufwendungen zur Altersvorsorge hat sich das Steuersystem in Deutschland deutlich verändert.

Einführung einer Rentenabzugsteuer

Immer mehr Rentner müssen eine Steuererklärung abgeben. Dies ist nicht nur für diese Personengruppe ärgerlich, sondern auch für die Steuerverwaltung eine arbeitsintensive Angelegenheit. Eine mögliche Weiterentwicklung des Rentensystems sollte daher die Einführung einer Rentenabzugsteuer sein. Diese würde für alle Renteneinkünfte gelten und von allen Rententrägern wie der Deutschen Rentenversicherung, Versorgungswerken und privaten Rentenversicherern einbehalten werden.

Die Höhe der Rentenabzugsteuer sollte nicht an Steuerklassen geknüpft werden, sondern sich aus der Höhe der Vorjahressteuer ergeben. Dies würde eine realitätsnähere Bestimmung der Steuerlast ermöglichen. Bei mehreren Renten wäre die gesamte Rentenabzugsteuer im Verhältnis der Bruttorenten auf die auszahlenden Stellen aufzuteilen. Nach Abschluss des Veranlagungszeitraums sollte nach Möglichkeit eine vollautomatisierte

Veranlagung vom Finanzamt durchgeführt werden. Dies würde den Verwaltungsaufwand sowohl für die Rentner als auch für die Finanzverwaltung erheblich reduzieren.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Rentenbesteuerung ist die Typisierung von Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen (insbesondere Krankheitskosten). Diese Posten haben einen erheblichen Einfluss auf die Höhe der zu zahlenden Steuern.

Die Vereinfachung des Steuersystems könnte dazu beitragen, die Akzeptanz der Rentenbesteuerung in der Bevölkerung zu erhöhen und die Verwaltung der Steuern zu erleichtern.

ℹ Hintergrundwissen:

Reale Bedrohung: Wird der Staat bald handlungsunfähig?

Die multiplen Herausforderungen der Steuerverwaltung

Punkt 4. Keine Lenkung mittels Steuerrecht

Die Politik neigt dazu, über das Steuerrecht politisch zu lenken. Die Konsequenz: Ein immer aufgeblähteres Steuerrecht mit überbordenden Einzelfallentscheidungen – und proportional steigendem Bearbeitungsaufwand für die Finanzverwaltungen.

Anstatt auf Kosten der Steuerverwaltung regulierend in den Markt einzugreifen, sollte die Politik Bürgern und Wirtschaft zutrauen, nachhaltig kluge Entscheidungen selbst zu treffen. Schließlich: Stimmige Unternehmensentscheidungen müssen betriebswirtschaftlich Sinn ergeben und nicht getroffen werden, weil eine (kurzfristige) steuerliche Erleichterung lockt. Im Gegenteil, Förderungen können zu betriebswirtschaftlichen Fehlinvestitionen verführen und die eigentliche Subventions-Intention somit ad absurdum führen.

Bleiben wir beim bereits bekannten Automobil-Beispiel: Wir wissen, die pauschale Besteuerung eines sportlichen Teslas kostet weniger als bei einem geräumigen VW Caddy (siehe Punkt 2). Würde der Handwerker sich nur aufgrund der Steuervorteile für die Elektro-Limousine entscheiden, wäre ihm zumindest beruflich wenig damit gedient: Leitern und sperriges Handwerkszeug lassen sich im Sportflitzer leider nur schwer verstauen und auch der Kunde wäre zweifellos irritiert. Betriebswirtschaftlich macht der Tesla in diesem Fall also keinen Sinn, auch wenn die Förderung verlockend scheint.

Nicht nur unser Handwerker weiß selbst am besten, welche Investition sich langfristig für seine Vorhaben auszahlen wird. Neben der Wirtschaft sind auch Bürger mündig genug, nachhaltig kluge Entscheidungen zu treffen. Aus Sicht der DSTG ist klar: Den Unternehmen ist mit Bürokratieabbau, schnellen Genehmigungsprozessen, steuerlicher Klarheit und  Beständigkeit deutlich mehr geholfen als mit komplizierten Einzelfallregelungen und Subventionen.

Punkt 5. Keine pauschale Risikoabsicherung auf Kosten der Steuerzahler

Die Wirtschaft ist seit jeher Risiken ausgesetzt. Unternehmer waren stets gefordert, eigene Strategien zu entwickeln, um Unwägbarkeiten zu begegnen und sich gegen wirtschaftliche Herausforderungen abzusichern. Die Formel ist schließlich bekannt: Auf Bullenmarkt folgt Bärenmarkt.

Der deutsche Staat bedient in den letzten Jahren jedoch immer stärker die Erwartungshaltung, dass er bei wirtschaftlichen Krisen schützend eingreifen muss. Unwägbarkeiten werden von vornherein durch Unterstützung vom Staat abgemildert, jedes Stolpern  ist weich gebettet. Das Prinzip Service GmbH Deutschland, das präventive Hilfsmittel nach dem Gießkannenprinzip ausschüttet, sollte daher überdacht werden. Unternehmen und Bürger sollten selbst Verantwortung für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg übernehmen. Dazu sind sie seit jeher in der Lage – wenn sie denn müssen.

Gleichzeitig sollte das Leistungsprinzip gestärkt werden. Leistung muss sich lohnen, die historisch hohe kalte Progression bei der Ertragssteuer sollte daher zwingend reduziert werden. Das Credo: Mehr Eigenverantwortung bei Unternehmen und Bürgern und gleichzeitig mehr Netto vom Brutto, um Investitionen in die Zukunft zu tätigen und Rücklagen für Krisenzeiten zu bilden.

Punkt 6. Förderung von Steuergerechtigkeit

Steuerhinterziehung und Steuervermeidung stellen zwei signifikante Herausforderungen dar, die das deutsche Steuersystem belasten.

Steuerhinterziehung: Jährliche Verluste in Milliardenhöhe  

Schätzungen zufolge entgehen Deutschland jährlich etwa 100 Milliarden Euro an Steuereinnahmen aufgrund von Steuerhinterziehung. Insbesondere in bargeldintensiven Branchen wie der Gastronomie entstehen dem Staat jährliche Verluste von etwa 15 Milliarden Euro. Die Steuerhinterziehung beginnt häufig mit der Umgehung der Umsatzsteuer und setzt sich fort mit fehlenden Ertragssteuern. Wenn Mitarbeiter dann teilweise „schwarz“ bezahlt werden, entgehen dem Staat zusätzlich Lohnsteuer und Sozialabgaben. Diese Kaskade des Betrugs resultiert in erheblichen Einnahmeverlusten für den Staat.

Zusätzlich existieren organisierte Formen der Steuerhinterziehung wie die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte, durch die dem deutschen Staat etwa 36 Milliarden Euro entgangen sind.

Steuervermeidung: Forderung nach europäischen Steuerstandards

Neben der Steuerhinterziehung stellt auch die Steuervermeidung als Folge einer aggressiven Steuergestaltung einiger Staaten ein Problem dar. Laut einer Studie des European Tax Observatory existieren allein innerhalb Europas eine zweistellige Anzahl an aggressiven Steuersystemen.

Ein Beispiel hierfür ist Italien, das attraktive Steueranreize für Auswanderer bietet: Arbeitskräfte von italienischen Unternehmen und insbesondere Forscher, Dozenten und Akademiker können von einer Lohnsteuerreduktion von 70 bis 90 % profitieren, wenn sie ihren Wohnsitz nach Italien verlegen. Auch Steuerbegünstigungen für Selbstständige und Digitale Nomaden gewährleistet die italienische Regierung im Rahmen des „regime impatriati“.

Diese Praktiken sind nicht akzeptabel und Deutschland muss Maßnahmen ergreifen, um sie zu bekämpfen. Hierfür sind effektive Gesetze und europäische Steuerstandards erforderlich. Ein Steuerwettbewerb, bei dem Länder versuchen, durch niedrigere Steuern Unternehmen und Individuen anzulocken, ist der falsche Ansatz.

Steuergerechtigkeit: Globale Reichensteuer für Milliardäre

Der Global Tax Evasion Report 2024 zeigt ebenfalls auf, dass globale Milliardäre nur sehr niedrige effektive Steuersätze von 0 Prozent bis 0,5 Prozent ihres Einkommens bzw. Vermögens zahlen. Diese Ungerechtigkeit muss global angegangen werden.

Ich bin der Meinung, dass auch über eine globale Reichensteuer, etwa für Spitzenverdiener jenseits der 2-Millionen-Marke, nachgedacht werden sollte. Diese könnte dazu beitragen, die Kluft zwischen Arm und Reich nicht weiter zu vergrößern und das Vertrauen in den Staat durch verbesserte Steuergerechtigkeit zu stärken.

Ausweitung von Kontrollen und Zusammenarbeit

Von entscheidender Bedeutung für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sind jedoch auch ausreichende Kontrollen. Es ist notwendig, dass die Steuerverwaltungen besser gegen Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und unfairen Steuerwettbewerb vorgehen können. Hierbei spielen sowohl nationale als auch internationale Maßnahmen eine Rolle. Es ist wichtig, dass die Zusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden auf nationaler und internationaler Ebene gestärkt wird, um effektiv gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung vorzugehen.

Nur so kann ein gerechtes und effizientes Steuersystem gewährleistet werden, das das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger stärkt und die finanzielle Stabilität des Staates sichert.

Punkt 7. Innovative Gedankenspiele zulassen

Künstliche Intelligenz (KI), 3D-Druck und Digitalisierung werden eine immer größere Rolle in der Zukunft einnehmen. Durch die digitalen Hilfsmittel werden zunehmend Prozesse beschleunigt und automatisiert. Der Faktor Arbeitszeit wird einen deutlich geringeren Stellenwert einnehmen, da die Produktion noch stärker und autonomer von Maschinen übernommen wird. Brancheninsider wie etwa Microsoft-Gründer Bill Gates und JPMorgan-CEO Jamie Dimon prognostizieren, dass die Arbeitszeit durch den Einsatz von KI langfristig auf 3,5 Tage sinken wird. Maschinen anstatt Arbeitnehmer erwirtschaften nunmehr den Löwenanteil von Unternehmen.

Die Umwälzung der neuen Arbeitsrealität hat bereits begonnen und wird mittelfristig große Auswirkungen auf unsere gesellschaftliche Struktur nehmen. Daher müssen bereits jetzt die Weichen für eine Neuausrichtung des Steuerrechts, das den realen Wandel des Wirtschaftssystems berücksichtigt, gestellt werden. Der Fokus könnte dabei nicht wie bisher auf den Faktor Arbeitszeit, sondern stattdessen auf Konsum- und Ressourcenverbrauch gesetzt werden. Somit könnten Verbrauchs- oder Produktsteuern mehr Anwendung finden als bisher.

Ein Tabu brechen: Erhöhung der Umsatzsteuer

Ein weiteres Gedankenspiel wäre die Erhöhung der Umsatzsteuer, um dafür Geringverdiener und die Mittelschicht bei der Einkommenssteuer drastisch zu entlasten. Von Luxemburg (17 Prozent) und Malta (18 Prozent) abgesehen hat Deutschland im EU Vergleich mit 19 Prozent den niedrigsten Umsatzsteuersatz. Nur Rumänien und Zypern liegen gleichauf.

Punkt 8. Steuerliche Compliance muss sich auszahlen

Bei der Besteuerung von gewerblichen wie auch selbständigen Einkünften fordert die DSTG drastische Änderungen: Langfristig muss es grundsätzlich sowohl im Bereich der Einkommensteuer als auch der Körperschaftsteuer zu einer Selbstveranlagung kommen.

Aktuell gilt bei der Einkommens- wie auch Körperschaftssteuer das Prinzip der Verifikation. Ein Finanzbeamter prüft die jährliche Steuererklärung und erstellt einen rechtskräftigen Bescheid. Bei dem Prinzip der Selbstveranlagung hingegen würde der Unternehmer oder der Selbstständige die jährliche Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer in einer Steueranmeldung vorab anmelden – wie in Deutschland bereits bei der Umsatz- und Lohnsteuer etabliert.

Die Änderung bestünde insbesondere darin, dass die Steueranmeldung sofort rechtskräftig ist, allerdings unter Vorbehalt der Nachprüfung und Änderung nach § 164 AO in einem begrenzten Zeitraum von vier Jahren. Diese Praxis wird bereits in mehreren EU-Ländern wie Italien, Spanien, Polen, Tschechien, Ungarn, Irland und Portugal erfolgreich angewandt.

Erhebliche Vorteile für Wirtschaft und Steuerverwaltung

Die Selbstveranlagung trägt maßgeblich zur Attraktivität des Wirtschaftsstandorts bei. Denn Unternehmen haben einerseits eine bessere Liquiditätsplanung durch sofortigen Geldfluss, indem sie die jeweiligen Steuern monatlich oder quartalsweise abführen – anstatt jährlich auf einen Schlag. Andererseits besteht bessere Planungssicherheit bezüglich anstehender Betriebsprüfungen, da diese auf eine überschaubare Zeitspanne begrenzt sind. Unternehmen beklagen häufig, dass Betriebsprüfungen zu spät kommen und unverhältnismäßig aufwändig sind. Hier würde die Finanzverwaltung Unternehmen deutlich entgegenkommen.

Der profitable Vertrauensvorschuss gegenüber Unternehmen muss jedoch an die Bedingung einer noch besseren Zusammenarbeit mit der Steuerverwaltung geknüpft sein: Die Steuerverwaltung könnte beispielsweise einen automatisierten Echtzeitzugriff auf die Buchführung von Unternehmen erhalten. Auch die verpflichtende Datenanalyse mit einem staatlich zertifizierten KI-gestützten Risikofilter stellt einen sinnvollen Kontrollmechanismus für Unternehmen und Finanzamt dar und könnte so die bereits bestehenden TCMS-Systeme wertvoll ergänzen. Die Botschaft muss dabei immer lauten: Steuerliche Compliance zahlt sich aus!

Punkt 9. Die Digitalisierung schneller vorantreiben

Länder wie Finnland machen es bereits vor: Der Staat treibt die Digitalisierung von Verwaltung und Wirtschaft gezielt voran, indem er in den Aufbau eines Real-Time-Economy Ecosystems (RTE) investiert. Man hat dort schon lange erkannt, mehr Digitalisierung in der Steuerverwaltung erleichtert den gesamten wirtschaftlichen Alltag. Im Gegenzug öffnen sich die Unternehmen und bekennen sich zur steuerlichen Compliance, von der, wie bereits oben aufgeführt, Wirtschaft und Verwaltung gleichermaßen profitieren. Das Erfolgsmodell zahlt sich aus: Finnland präsentiert sich als einer der europäischen Vorreiter und nimmt durch den Aufbau des Real Time Economy Ecosystems bereits weltweit Platz 2 des DESI-Indexes ein.

Die Einführung von RTE stellt somit einen wichtigen Zukunftsfaktor dar, denn sie birgt das Potenzial, nicht nur die Wirtschaft nachhaltig zu stärken, sondern auch Betrugsfälle effektiv zu bekämpfen. Auch die Erfahrungen in anderen Ländern, die solche Systeme bereits einsetzen, sind absolut positiv. So konnte etwa in Estland die Zeitdauer von Steuerprüfungen halbiert und die steuerlichen Mehrergebnisse verdoppelt werden, da das System Betriebsprüfern ermöglicht, Betriebe deutlich zielgerichteter auszuwählen.

Werfen wir einen Blick auf das Erfolgsmodell:

Real-Time-Economy als Erfolgsmodell 

Bei Real-Time-Economy handelt es sich um ein digitales Wirtschafts-Informations- Ökosystem, das alle Elemente des Geschäftsverkehrs automatisch in Echtzeit verarbeitet. So sind Verkauf, Rechnungsstellung, Zahlungseingang, Buchführung, Steuerzahlung und Geschäftsberichte sofort digital erfassbar und können einfach übermittelt werden. Auch die statistische Meldepflicht kann hierüber automatisiert abgewickelt werden.

Voraussetzung dafür ist, dass alle elektronischen Daten wie etwa E-Rechnungen standardisiert und einfach über elektronische Schnittstellen teilbar sind. Für eine effiziente Nutzung muss daneben das Once Only Principle Anwendung finden: Alle Daten, die dem Staat übermittelt wurden, dürfen in allen Ressorts verwendet werden. Bürger und Unternehmen müssen die Daten somit nur einmal anliefern. Um dies umzusetzen, braucht es dringende Änderungen des Datenschutzgesetzes und die nötige sichere Infrastruktur.

Der Vorteil von Real-Time-Economy: Durch die automatische Übermittlung von elektronischen Daten fallen viele ressourcenintensive Zwischenschritte weg. So können etwa Arbeitszeiten, Arbeitskräfte, Treibhausgasemissionen und schließlich Kapitalkosten signifikant gesenkt werden. Doch nicht nur die Wirtschaft, auch die Finanzverwaltung profitiert durch die elektronische Übermittlung aller relevanten Daten in Echtzeit. Die Ämter können wirtschaftliche Transaktionen transparent und automatisiert nachvollziehen und Unstimmigkeiten schnell durch die KI (Künstliche Intelligenz) aufdecken und zielgerichtet prüfen. So kann die Behörde einerseits effektiver und andererseits effizienter – weil ressourcensparender – operieren.

Punkt 10. Einsatz von Künstlicher Intelligenz

Deutschland braucht in naher Zukunft zwingend eine Steuerverwaltung 3.0, die Künstliche Intelligenz effektiv einsetzt. Die Entwicklung einer KI in der Steuerverwaltung muss daher das unbedingte Ziel der Politik sein und zur absoluten Chefsache erklärt werden.

Um den Weg zur Digitalisierung in Deutschland zu ebnen, bedarf es einer Vereinfachung des Steuerrechts und ernstgemeinter Investitionen aus der Politik. Eine weitere Hürde betrifft den Konsens der Bundesländer: Auch wenn der Föderalismus den Ländern Autonomie ermöglicht, muss hier zwingend eine bundeseinheitliche Lösung angestrebt werden. Nur dann kann höchste Effektivität und Effizienz gewährleistet werden, und zwar in der Entwicklung, Implementierung und Wartung, aber auch im länderübergreifenden Austausch von Informationen.

Doch inwiefern kann der Einsatz einer KI die Steuerverwaltung entlasten? Hier ein Zukunftsausblick:

Die Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz 

Künstliche Intelligenz (KI) hat das Potenzial, die Steuerwelt grundlegend zu verändern. Sie bietet eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten, die von der Unterstützung im Büroalltag, der Automatisierung von Routineaufgaben (Co-Pilot Funktion), der Risikoanalyse, bis hin zur Unterstützung bei komplexen steuerrechtlichen Entscheidungen (Consultant Funktion) reichen. Insbesondere dieser letzte Punkt beleuchtet, wie KI die gesamte Steuerbranche revolutionieren und welche Auswirkungen dies auf die Branche haben wird.

Co-Pilot Funktion

Die KI kann die Arbeit von Steuerbeamten unterstützen, indem sie bei der Erstellung von Schreiben und Routineaufgaben unterstützt. Durch die Verwendung von KI können diese Dokumente schnell und effizient erstellt werden, wodurch die Steuerbeamten mehr Zeit für komplexere Aufgaben haben.

Eines der Hauptanwendungsgebiete der KI im Steuerrecht ist aber auch die Automatisierung von Routineaufgaben. KI-Algorithmen können beispielsweise eingehende Anträge und Belege präzise analysieren, klassifizieren und relevante Daten wie beispielsweise eine geänderte Bankverbindung extrahieren. Diese Daten können dann schnell und einfach in die Programme der Steuerverwaltung übertragen werden, ohne dass ein Mensch die Dokumente nochmals begutachten muss.

Consultant Funktion

Die rechtliche Anwendung von KI im Steuerrecht erfordert eine Verschmelzung von internem Hoheitswissen, Steuerfachliteratur, Rechtsprechung und KI-Tools. Die KI kann dann bei der Lösung komplexer Rechtsfragen helfen, indem sie relevante Informationen aus einer Vielzahl von Quellen extrahiert und analysiert. Sie kann dazu beitragen, die Auswirkungen von Steuergesetzen und -vorschriften auf bestimmte Fälle zu bewerten. Darüber hinaus kann sie bei der Interpretation von Steuergesetzen und -vorschriften helfen, indem sie die relevanten Informationen aus der Steuerfachliteratur und der Rechtsprechung ausliest und bewertet.

Die Konsistenz der Entscheidungen kann verbessert werden, indem sie sicherstellt, dass ähnliche Fälle auf ähnliche Weise behandelt werden. Darüber hinaus kann die Transparenz der Entscheidungen verbessert werden, indem die KI die Gründe für die Entscheidungen klar und verständlich darstellt.

Risikoanalyse Funktion

Insbesondere kann die KI aber bei der Risikoanalyse und der Echtzeitüberwachung der Buchhaltung eine entscheidende Rolle spielen. Die Risikoanalyse ist ein zentraler Bestandteil der Steuerverwaltung. Sie hilft dabei, potenzielle Steuerausfälle zu identifizieren und Ressourcen effizient einzusetzen.

KI kann diese Prozesse erheblich verbessern. Denn die KI-Algorithmen können große Mengen an Daten analysieren und Muster erkennen, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Sie können beispielsweise Anomalien in Steuererklärungen erkennen, die auf potenzielle Steuervergehen hinweisen. Darüber hinaus können sie Vorhersagemodelle erstellen, die zukünftige Risiken identifizieren und so präventive Maßnahmen ermöglichen.

Ein weiterer Bereich, in dem KI die Steuerverwaltung revolutionieren kann, ist der Echtzeitzugriff auf die Buchhaltung (Real-Time-Economy, wie bereits in Punkt 9 erläutert). Durch die Digitalisierung der Buchhaltung können Steuerbehörden in Echtzeit auf Finanzdaten zugreifen. Dies ermöglicht eine kontinuierliche Überwachung und Analyse der Finanztransaktionen eines Unternehmens. KI kann diese Daten in Echtzeit analysieren und sofortige Warnungen ausgeben, wenn sie potenzielle Risiken erkennt. Dies ermöglicht eine proaktive Steuerverwaltung, die Probleme erkennt und löst, bevor sie zu ernsthaften Steuerausfällen führen.

Es braucht Mut zur Veränderung

Als Bundesvorsitzender der DSTG stehe ich im regen Austausch mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Lange Zeit war die Vielfalt der Interessen zu groß, um bedeutende Veränderungen im Steuersystem zu bewirken. Doch heute stehen wir an einem Wendepunkt. Die dringende Notwendigkeit für Veränderungen wird nunmehr von allen Stakeholdern in Deutschland anerkannt. Ob Steuerberater, Konzerne, mittelständische Unternehmen oder kleine Handwerksbetriebe: Die zahlreichen Verbände sprechen sich einstimmig für Veränderungen aus und bestätigen die Auffassung der DSTG, dass es zwingend einer Steuerreform bedarf.

Keine Frage: Deutschland, als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, kann auf seine früheren Erfolge stolz sein. Doch sie gehören der Vergangenheit an, der Status quo kann nicht länger aufrechterhalten werden. Technologische Innovationen, internationale Entwicklungen und der demographische Wandel setzen unser deutsches Wohlstandsmodell unter Druck. Die Stimmung unter den führenden Entscheidern ist entsprechend angespannt, sie sehen den Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr: Hohe Energiekosten, Fachkräftemangel, große bürokratische Hürden und rückständige Digitalisierung führen aus ihrer Sicht zu signifikanten Wettbewerbsnachteilen.

Die Ergebnisse der Führungskräfte-Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach von Juni/Juli 2023 zeigen noch ein weiteres aufschlussreiches Stimmungsbild: Der Wunsch nach Senkung der Steuerlast ist weit unten auf der Prioritätenliste der Entscheidungsträger der deutschen Wirtschaft angesiedelt. Im Fokus stehen vielmehr der Fachkräftemangel, die Digitalisierung, der Bürokratieabbau und die Energiekosten.

Um Deutschland zukunftsfest aufzustellen, braucht es vor allem eines: Mut zur Veränderung. Es braucht eine klare AGENDA 2030, die eine umfassende Vision für Deutschlands Zukunft formuliert und auf nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung, technologischer Innovation und sozialem Zusammenhalt basiert. Mit unseren Reformüberlegungen zum deutschen Steuerrecht möchten wir als DSTG zu einer zukunftsfesten Steuerverwaltung und einer nachhaltigen Entlastung der Wirtschaft beitragen. Indem wir eine drastische Entbürokratisierung und den Einsatz von KI in der Finanzverwaltung einfordern, bieten wir gleichzeitig eine Antwort auf den immer gravierender werdenden Fachkräftemangel in der gesamten Steuerrechtspflege.

Ich möchte den Aufsatz mit Optimismus schließen. Mit jener Aufbruchsstimmung, die entschlossenen Taten vorangeht. Ich bin gewiss: Mit dem Mut zur Veränderung kann der bewusste Schritt in die neue Ära gelingen. Eine Ära, in der wir die Herausforderungen der Zukunft annehmen und die notwendigen Veränderungen umsetzen, um Deutschlands Wohlstand und Zukunftsfähigkeit zu sichern.

ℹ Hintergrundwissen:

Reale Bedrohung: Wird der Staat bald handlungsunfähig?

Die multiplen Herausforderungen der Steuerverwaltung